„Die Nummer 1 sind wir“

Nach dem 3:0 über den Titelkandidaten VfB Stuttgart wähnt Trainer Erik Gerets den Dauer-Tabellenführer VfL Wolfsburg nun auch in taktischer Hinsicht auf einem leistungsmäßigen Höhepunkt

AUS WOLFSBURG PETER UNFRIED

Wolfsburg ist „die Stadt des Spitzenreiters“. Das ist fester Teil des Titelkopfs der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung, seit die VfL Fußball GmbH die Tabellenspitze der Fußballbundesliga erklomm. Seither wird man auch in der VW-Arena angewiesen, nicht mehr der Welt bloß mitzuteilen, wer „hier regiert“, sondern wer „die Bundesliga regiert“. Also, die Sache ist wichtig und muss betont werden. Es ist, als müssten sich Anhängerschaft, Stadt und Unternehmen noch immer ihrer selbst vergewissern. Dabei führt man die Liga mittlerweile seit September an. In Fußballzeit gerechnet, sind das Ewigkeiten.

Das Spiel gegen den Titelkandidaten VfB Stuttgart war zum Entscheidungsspiel gemacht worden bezüglich Klärung der Frage: Absturz jetzt? Die Antwort ist erstens: 3:0. Und zweitens, sagt Trainer Erik Gerets, habe man dabei gleich auch noch „wahrscheinlich das beste Spiel“ der laufenden Saison gemacht. Da das den einen oder anderen Beobachter irritierte, ergänzte Gerets sein Verdikt. Nun heißt es: „Das taktisch beste Spiel.“ Es sei ein gutes Zeichen, findet auch Pablo Thiam, der gleichzeitig Taktikverantwortlicher und eine Art Pressesprecher der Mannschaft ist, „wenn du gegen eine Mannschaft, die taktisch so weit ist wie der VfB, taktisch und spielerisch bestehst.“

Auch ein gutes Zeichen: Es wird derzeit in der Liga über Taktik geredet. Das hängt mit dem Erfolg des Kollektiv- und Systemfußballs der Aufsteiger zusammen. Wenn man so will, ist Wolfsburg auch ein Aufsteiger, und das Gerüst des Aufstiegs soll neben der neuen Innenverteidigung hierarchieflacher Fußball sein. Am Samstag war er ohne den gesperrten Weltklassespieler Andres d’Alessandro unbestreitbar noch flacher – was die Hierarchie betrifft, aber auch das spielerische Niveau und die Kreativität. Zu sehen war, was das Arbeiter-Mittelfeld Karhan–Sarpei–Thiam abzuliefern in der Lage ist: emotionsarmen, aber defensiv gut organisierten, fehler- und chancenarmen Fußball. So nahm man VfB-Lenker Hleb aus dem Spiel – und war besser als der VfB, der zwar auch emotionsarmen und defensiv gut organisierten, schließlich aber fehleranfälligen Fußball ablieferte.

Ein Ballverlust im Spielaufbau (Vranjes) gab Thiam die Chance, in die erste Lücke der VfB-Abwehr zu stoßen. Brdaric besorgte den Rest (42.) „In Pattsituationen“, sagte VfB-Trainer Matthias Sammer, „darfst du keine leichten Fehler machen.“ Man könne ihm zwar „nicht in den Mund legen, dass der VfB kein Spitzenteam ist“, aber wenn man diese Defizite in Zukunft beibehalte, werde es „sehr schwer, einen Uefa-Cup-Platz zu erreichen“. Vier Bundesliga-Niederlagen hat das Team nun in kurzer Zeit kassiert, zudem war man beim Pokal-Aus in München richtig chancenlos. Für Sammer steht das im Zusammenhang mit der Dreifachbelastung (Liga, Uefa-Cup, Pokal) der letzten Wochen. Die „Frische“ fehle. Sein Nationaltorwart Timo Hildebrand sieht es grundsätzlicher: Ihm fehlt „die Leidenschaft“ im Team. „Normal ist, dass man kämpft, beißt, ackert“, Status quo beim VfB dagegen sei: „Firlefanz auf dem Platz.“

Und dann braucht man bei allem Bekenntnis zum Teamfußball eben doch hie und da einen Heldenfußballer. Der VfB hatte keinen. Wolfsburg dagegen hat etwas, was Gerets nüchtern „Die Petrow-Show“ nennt. Wer es nicht weiß: Martin Petrow (29) ist der wahrscheinlich schnellste Linksaußen der Liga und seit seinen vier Toren gegen Mainz auf dem Weg, seinen jahrelang rätselhaften Ehrentitel „Fußballgott“ zu rechtfertigen. „So ein Mann“, sagte sein Gegenspieler Meißner nüchtern, „ist ein Vorteil für die Mannschaft, die ihn hat.“ Wenn es ihr gelingt, ihm die Bälle in den Lauf zu spielen. Es gelang. Zweimal. Wie Petrow beim 2:0 (69.) den rechten Teil der VfB-Abwehr (Meißner, Babbel) umkurvte, war – mit Verlaub – Weltklasse. Beim 3:0 (76.) bekam er die Vorlage von Keeper Jentzsch (!) und musste eigentlich nur noch Tiffert und Heldt davonrennen. Es waren Petrows Saisontore 6 und 7, und jene zwei Momente, die ein Fußballspiel über das Ergebnis hinaus erinnerbar machen.

Bevor nun aber Heldenverehrung einsetzt, hat Pablo Thiam die Vorgänge im Sinne des Kollektivs zurechtgerückt. „Wir versuchen, Petrows Stärken zu nutzen“, sagte er, „und seine Schwächen zu kaschieren.“ Ob das gelingt, auf den kompletten VfL übertragen, wird über die Verweildauer an oder in der Spitze der Liga entscheiden. Auf der Nordtribüne sangen sie jedenfalls bis weit nach Spielende ihren Tophit: „Die Nummer 1 sind wir“. Wahrscheinlich singen sie immer noch.

VfL Wolfsburg: Jentzsch - Rytter, Quiroga, Hofland, Weiser - Karhan (79. Ahumada), Thiam, Sarpei - Brdaric (70. Topic), Klimowicz, Petrow (81. Hrgovic)VfB Stuttgart: Hildebrand - Meißner, Stranzl, Babbel, Lahm - Soldo - Tiffert, Hleb (86. Zivkovic), Vranjes (46. Heldt) - Kuranyi (64. Szabics), CacauZusch.: 29.076; Tore: 1:0 Brdaric (42.), 2:0 Petrow (69.), 3:0 Petrow (76.)